Wladimir Klitschko Erfolg Magazin

Nimm die Challenge an!

Herr Klitschko, um Erfolg zu haben, egal ob im Sport oder in der Wirtschaft, ist ja die Zielsetzung sehr, sehr wichtig. Fiel es Ihnen immer leicht, Ziele zu setzen? Haben Sie immer gleich eine Routenplanung im Kopf? Auch schon als Jugendlicher?

Mein Vater war beim Militär, meine Mutter ist Lehrerin, beides Berufe, in denen sehr viel Disziplin gefordert ist. Es gab neben den Aufgaben von der Schule noch welche von den Eltern zu erledigen und wir sollten pünktlich um sechzehn Uhr zuhause sein, sonst gab es Ärger. Was ich an Disziplin habe, ist reine Erziehungssache. Dafür sind unsere Eltern verantwortlich.

 

Eines Ihrer Lieblingsworte ist ja das Wort „Challenge“, also „Herausforderung“. Challengen Sie sich denn am liebsten selbst oder bekommen Sie auch gerne Herausforderungen von anderen?

Beides. Herausforderungen von anderen machen mehr Spaß. Wenn ich provoziert werde, nehme ich diese Challenge definitiv an und setze alles daran, sie gegen meinen Herausforderer auch zu meistern. Oder auch gemeinsam zum Ziel zu gehen, auch das gibt es. Es kommt auf die Situation an. Mein schlimmster Gegner bin ich jedoch selbst. Es ist die größtmögliche Herausforderung, gegen mich selbst anzutreten. Ich bin sehr streng mit mir selbst.

 

Zusammen mit der Universität St. Gallen haben sie jetzt den Weiterbildungsstudiengang „CAS Change and Innovation Management“ entwickelt und dozieren auch. Und dort lernen ja schon erfahrene Manager und Unternehmer von Ihnen. Ist es für solche Menschen, die ja in Ihrem gewohnten Hamsterrad schon zu Hause sind, schwerer, dass sie die Notwendigkeit von Veränderung erkennen?

Da muss ich differenzieren: Ich doziere bei diesem Weiterbildungsstudiengang, ja, aber als Dozent wäre ich „nur“ ein Rad am Wagen. Ich habe diesen Weiterbildungsstudiengang gemeinsam mit der Universität St. Gallen ins Leben gerufen. Wir haben zusammen den Wagen mit entsprechenden Rädern gebaut. Wir haben uns sofort perfekt verstanden und miteinander die Idee entwickelt, Führungskräften und Managern die Grundlagen des Selbst- und Challenge Managements zu vermitteln. Doch wir wollen mehr. Warum? Weil wir nach dem ersten Durchgang aus dem Feedback der Studenten erkennen konnten, dass wir fortschreitend ihr Leben verändert haben. Sowohl im Beruflichen als auch im Privaten. Wir hatten Top-Manager oder Unternehmer, die sich in diesem Studiengang kennengelernt haben, die ihre beruflichen Hamsterräder verlassen oder gewechselt haben und teils sogar gemeinsam Start-Ups kreiert haben. Also haben die Universität St. Gallen und wir uns entschieden, gemeinsam ein Kompetenzzentrum für Intrapreneurship zu gründen, in dem wir Selbst- und Challenge Management erforschen und wissenschaftliche Gesetze erarbeiten. Wir wollen Methoden kreieren, wie man an Herausforderungen herangeht und wie man diese methodisch in den Griff bekommt.

 

Gibt es da einen Zeitplan? Ab wann gibt es das ungefähr?

Das Kompetenzzentrum gibt es seit letztem August. Seit Oktober ist die Doktorandenstelle besetzt. Richtig in die Vollen gehen wir nächstes Jahr, also 2017. Es ist uns ernst mit der Sache. Vor allem sind die Uni und ich die perfekte Kombination von Praxis und Theorie. Die renommierten Professoren der Universität St. Gallen sind speziell im wirtschaftlichen Bereich stark und bilden das Fundament. Ich wiederum biete Erfahrungen aus mehr als einem Vierteljahrhundert Leistungssport, die ich ins persönliche und wirtschaftliche Umfeld transferiert habe.

 

 

Wladimir Klitschko mit Verleger Julien Backhaus

Für Veränderungen braucht man ja vor allem auch Mut, zum Beispiel um das alte Hamsterrad zu verlassen und ein neues Unternehmen zu gründen. Kann man Mut in einer gewissen Weise auch lernen?

Ja, Mut können Sie lernen. Häufig hält man sich nicht für so mutig und unterschätzt sich selbst. Wenn wir mehr oder weniger psychisch gesund sind, haben wir jedoch Ängste, viele Ängste. Sie sind ein unglaublicher Teil unseres Egos, unserer Menschlichkeit. Es ist okay und es ist gesund, Angst zu haben. Du bewegst dich dank deiner Angst weiter, denn Angst macht dich wach und bringt dich voran. Nur feige darfst du nicht sein. Wenn du feige bist, drehst du um oder machst den nächsten Schritt nicht. Das heißt, du bleibst stehen, fällst zurück. Um dich zu entwickeln, musst du vorangehen. Und ja, das ist lernbar.

 

Einer der großen Stolpersteine auf dem Weg zum Erfolg ist Ablenkung. Man hat ja auch viele andere Interessen, beruflich, Familie, privat… Wie ging es Ihnen damit? Konnten Sie sich komplett auf eine Sache konzentrieren?

Für mich gilt: Je mehr Druck da draußen ist, desto konzentrierter und entspannter bin ich. Je weniger Druck da draußen ist, desto angespannter werde ich. Es ist immer das Gegenspiel zu dem, was von außen kommt. Es gelingt mir gut, mich komplett zu fokussieren. Es gelingt mir noch besser, wenn es da draußen unruhig zugeht.

 

Wenn Leute, dich nach Konzentrationstipps fragen, gibt es da eine Methode, nach dem Motto: „Pass auf, mach das, dann wirst du dich konzentrieren können“?

Was ich eben gesagt habe, ist nicht nur eine Theorie. Es gibt Schritte, die man nacheinander gehen muss. Der erste Schritt ist die Zielsetzung. Wo will ich denn hin? Ich bewege mich immer dorthin, wo ich mein Ziel einrichte, doch um mich bewegen zu können, muss ich genau das definieren. Als nächstes frage ich mich, was die Konsequenzen sind, wenn ich mein Ziel nicht erreiche, oder wenn ich das Ziel nicht ständig im Auge behalte? Im folgenden Schritt geht es darum, wie ich mir mein Ziel bildlich vorstelle. Leute erinnern sich mehr an das, was sie gesehen haben, also an eine Bildvorstellung. Bilder sind unglaublich wichtig, sogar viel wichtiger als Inhalte. Es gibt dazu Studien, die das bestätigt haben.

Und dann frage ich mich: Wer hilft mir? Ich muss mir Weggefährten suchen, mir ein Team aufbauen. Im Grunde genommen könnten dies auch deine Kontrahenten sein, die dir helfen, zum Ziel zu kommen. Meine Sparringpartner zum Beispiel wollen mich vermöbeln, sind Konkurrenten im Training. Sie wollen mich im Sparring ausknocken. Aber dadurch fördern sie mich, sodass ich besser werde und für meinen Kampf und meinen Gegner gut vorbereitet bin. Heißt: Auch Konkurrenten können Weggefährten sein, dich besser machen. Und der letzte Schritt: Werde besessen von deinem Ziel. Wenn man von einem Ziel besessen ist, wird man es auch erreichen. Also, fünf Schritte: Ziel, Konsequenzen, Bildvorstellung, Weggefährten, Besessenheit.

 

Sie kennen ja sowohl das Leben in den USA als auch in Deutschland. Haben Sie Hoffnung, dass wir in Deutschland auch irgendwann mal diesen „German Mut“ entwickeln? Die Amerikaner haben den ja, aber woran liegt es, dass in Deutschland so wenige Leute Unternehmen gründen?

Ich rede zwar immer noch mit einem Akzent, doch ich wurde von Deutschland quasi adoptiert und glaube, ich kenne die deutsche Mentalität recht gut. Meiner Meinung nach hat Deutschland eine Erwartungsmentalität. Wir erwarten immer etwas von unseren Nachbarn, unseren Kindern, unserem Chef, unseren Angestellten oder unserem Land, unseren Politikern. Wir erwarten eigentlich immer mehr, als wir eh schon haben und das fördert uns.

Was Ängste betrifft, auch davon haben wir jede Menge. Wir wollen sicher sein und gehen der Herausforderung gern mal aus dem Weg. Mich hat es wirklich getroffen, dass sich Hamburg zum Beispiel gegen die Olympischen Spiele entschieden hat. Ich muss diese Meinung der Mehrheit respektieren, die einfach weniger Stress haben will, die ruhig und bescheiden bleiben will. Für die Förderung und Forderung der Wirtschaftsstruktur, für die Infrastruktur des Landes, für den Sport und die Entwicklung allgemein wären die Spiele besser gewesen. Vielleicht wird ja nächstes Mal was draus.

Die Amerikaner haben so etwas wie einen Glaubenssatz, der sich immer wieder bestätigt: „Only in America.“ „Only in America“ kann man sich mit allem beschäftigen, egal ob man Vorkenntnisse hat oder nicht. „Only in America“ kann ein Bodybuilder Gouverneur werden. „Only in America“ kann Donald Trump Präsident werden. „Only in America“ trägt auch viele andere Sachen in sich und zeigt die unbegrenzten Möglichkeiten der Menschen auf. Menschen begrenzen sich oft selbst. Ich glaube, es ist diese egoistische Gesellschaft, die den USA ihre Dominanz ermöglicht. Das Ego ist wahrscheinlich größer als die Möglichkeiten, aber genau das vergrößert die Möglichkeiten und somit kommt man weiter. Es ist aber auch hier in dieser Gesellschaft zu spüren und meines Erachtens ist Deutschland hier durchaus schon die Nummer Eins in Europa.

 

Sie sind ja selber auch ein sehr mutiger Mensch und haben schon einige Unternehmen und Stiftungen gegründet. Juckt es sie öfter mal in den Fingern, etwas Neues anzupacken? Sehen Sie manchmal irgendwelche Dinge und sagen: „Da möchte ich etwas machen“? Sind Sie da sehr proaktiv?

Was die Stiftung betrifft: Sehr! Manchmal frage ich mich selbst: „Warum tue ich das?“ Es kostet sehr viel Energie, es entstehen finanzielle Kosten, es ist aus jeder Sicht sehr aufwändig. Aber ich bekomme einen unglaublichen Anstoß durch positive Energie zurück. Ich verstehe es auch als Antwort auf die philosophische Frage, die J. F. Kennedy gestellt hat: „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann – frage, was du für dein Land tun kannst.“ Das kann man abwandeln auf: „Frage nicht die Gesellschaft, deinen Chef, deinen Freund, was sie für dich tun können, sondern frage, was du für sie tun kannst.“ Ich bin davon überzeugt, je mehr wir geben, desto mehr bekommen wir zurück. Wenn viele Menschen sich vom „Geben“ anstecken lassen, wird die Gesellschaft zurückgeben.

Ich für meinen Teil bekomme auf unterschiedlichste Weise viel Positives zurück und ich fördere die Gesellschaft durch unsere Projekte in Bildung und Sport für Kinder und Jugendliche. Meiner Auffassung nach sind Bildung und Sport zwei Schlüssel von unglaublich großer Bedeutung für unsere Gesellschaft. Ich spreche so überzeugt darüber, weil ich diesen Weg selbst gegangen bin. Sport und Bildung haben mir in meinem Leben geholfen, dorthin zu kommen, wo ich heute bin.

 

Erzählen Sie doch mal ein bisschen über Ihre Stiftung. Was machen Sie da und was waren die letzten ein oder zwei Dinge, die Sie dafür getan haben?

Gegründet wurde die Stiftung von dreizehn Jahren mit dem Hauptaugenmerk auf Sport und Bildung. Mein Bruder Vitali und ich sind die Gründer. Ich bin wahnsinnig stolz auf ein Projekt, das ungeheuer erfolgreich läuft und auch ein sehr persönliches Projekt ist: „School of success“. Dieses Projekt beinhaltet ein jährliches Sommercamp in der Ukraine mit Kindern aus Kasachstan, der USA und der Ukraine. Dabei entwickeln Kinder innerhalb von gut zwei Wochen eigene Projekte, zum Beispiel einen Kurzfilm zu drehen. Wir organisieren das ganze Equipment und die Kinder entwickeln die Filmidee, schreiben ein Drehbuch, drehen, schneiden und vertonen ihren Film – alles in Eigenregie. Hierfür müssen sie sich intern in Teams aufteilen, festlegen, wer wofür verantwortlich ist, also wer für die Ideen, wer für die Dreharbeiten, für Ton, Schnitt und so weiter. Am Ende präsentieren die Gruppen ihre Kurzfilme und der beste Film wird als Belohnung im nationalen TV auch ausgestrahlt.

Was lernen die Kinder daraus? Sie lernen, dass ihre Kontrahenten, also die anderen Teams, sie fördern, indem sie sie anspornen, besser zu sein. Sie müssen zudem untereinander zusammenarbeiten, um das Ganze in kürzester Zeit auf die Beine zu stellen. Das gibt ihnen den Glauben: „Ich bin die bewegende Kraft. Ich kann selbst etwas tun. Ich bin ein Entrepreneur und zugleich ein Teil des großen Ganzen. Und wenn sie dann als Belohnung den eigenen Film im landesweiten TV sehen, ist das für sie einfach das Größte. Dieser Film bleibt für immer in ihrem Leben.

Ein weiterer Punkt ist die Verbindung von Kulturen. Die Kinder kommen aus unterschiedlichen Welten. In Kasachstan ist die Bevölkerung größtenteils muslimischen Glaubens. Nun kommen diese Kinder mit Katholiken und orthodoxen Christen zusammen. Sie kommen aus unterschiedlichen Kulturen, haben ein anderes Aussehen und sprechen verschiedene Sprachen. All diese Hindernisse müssen sie überwinden und miteinander kommunizieren, um ihr Projekt voranzubringen. Es ist folglich auch ein Projekt, dass auf die globalisierte Welt vorbereitet. Einfach eines der Projekte, die mich sehr stolz machen.

Wir machen noch wahnsinnig viel anderes: Renovierungen von Sportschulen, Bereitstellung von Sportgeräten, Schaffen von Spielplätzen, Vergabe von Stipendien, das Project „Falling Walls“. Erst vor kurzem war ich deswegen in Berlin. „Falling Walls“ ist in Deutschland gegründet worden, aber ein weltweites Projekt, bei dem die besten Start Up-Ideen von Jugendlichen gesucht werden. Jeder kann teilnehmen und muss in sehr kurzer Zeit, nämlich drei Minuten, seine Idee präsentieren und die Jury überzeugen. Wenn die Idee gut ist, kommt er eine Runde weiter. Gesucht wird der globale Gewinner. Auch „Falling Walls“ ist eine Stiftung, die die Idee der Internationalisierung, Globalisierung und Digitalisierung in sich trägt. Sie fördert das Selbstverständnis der Jugendlichen als Teil der Weltgesellschaft. Momentan ist die Klitschko Foundation zwar „nur“ in der Ukraine, doch auch wir agieren global. In diesem Zusammenhang arbeiten wir zum Beispiel auch sehr eng mit „Ein Herz für Kinder“ zusammen und nutzen unser sehr gutes Netzwerk.

 

Wenn Ihre Tochter Kaya irgendwann mal anfängt erwachsen zu werden und in die große weite Welt rausgeht um diese Welt kennenzulernen – was wird wohl der wichtigste Rat, den Sie ihr mit auf den Weg geben?

Interview aus dem Erfolg Magazin 01/17

Ich hoffe, eines Tages wird sie so über ihre Eltern reden, wie ich dies über meine Eltern tue. Meine Eltern haben meine Grundlagen geschaffen. Sie haben sich uns nie in den Weg gestellt. Als es ums Boxen ging, war unser Vater eher unterstützend, unsere Mutter eher dagegen. Doch auch mein Vater war sehr kritisch und sagte uns: „Boxen, das ist doch kein richtiger Beruf.“ Sie haben uns schlussendlich erlaubt, uns selbst zu entscheiden und damit, uns selbst zu entwickeln. Ich bin überzeugt, Eltern schaffen durch ihre Erziehung die Grundlage für die Zukunft. Sie sollten ihre Kinder beeinflussen, ohne ihnen die Möglichkeiten für die eigene Entwicklung zu nehmen. Und eins würde ich ihr immer mit auf den Weg geben, was sie nie vergessen darf: Du bist die bewegende Kraft! You are the driving force!

 

Vielen Dank, Wladimir Klitschko.

 

 

Bilder Ismail Gök