Wie unsere Motive unser Handeln beeinflussen

Ein Psychiater und Psychologe aus Ohio, Prof. Steven Reiss, hat einst zigtausende von Menschen danach befragt, was den Wert des Lebens ausmacht: Wofür leben Sie? Worum geht es in Ihrem Leben? (Oder auf neudeutsch: Was triggert Sie an?) Aus diesen unzähligen Antworten ergaben sich 16 übergeordnete Lebensmotive wie Macht (Führen oder Dienstleistung), Neugier, Teamorientierung, Beziehung, Sammeln/Sparen, Ordnung, Ziel-Zeckorientierung (oder moralische Prinzipien) Status, Anerkennung, Rache/Kampf (Wettkampfmotiv), Idealismus, Familie, Essen, Schönheit/Eros, körperliche Aktivität und Ruhe.

Jeder einzelne von uns besitzt mit den Lebensmotiven ein Profil, welches so individuell ist wie ein Fingerabdruck: es gibt keine zwei exakt gleichen Menschen auf der Welt, die dasselbe denken, wollen oder mögen. Und das ist im Grunde eine revolutionäre Erkenntnis: Es gibt nichts, was für alle stimmig oder richtig wäre; es gibt nichts, was jeder auf dieselbe Art sieht, hört, liest, wertet. Ein und derselbe Satz wird deshalb mitunter von zwei –  in ihren Lebensmotiven verschiedenen – Menschen völlig anders gedeutet und sorgt für Missverständnisse, Animositäten, Unmut, Aggressionen und Enttäuschungen.

Was heißt das jetzt für unser Miteinander, für unser Zusammenspiel? Und was bedeutet das für unseren Umgang mit Finanzen?

Ein Beispiel: Hannah A., die über ein hohes Machtmotiv verfügt und von daher eine Vorliebe für schnelle Entscheidungen besitzt; eine Dame, der ein niedriges Ruhe-Motiv zu eigen ist  und die das Eingehen von Risiken liebt und dabei immer optimistisch bleibt, die unter Druck aufblüht und viel Abwechslung braucht; diese Hannah A. ist zudem jemand, die ein niedriges Sammeln/ Sparen-Motiv aufweist, die also gut Loslassen kann und nicht an jedem Cent hängt; die zudem vielleicht sogar noch ein niedriges Anerkennungs-Motiv besitzt, so dass es ihr gleichgültig ist, was andere über sie denken und für die Fehler lediglich eine Chance sind, es das nächste Mal besser zu machen, eine Frau, die bei keiner Pleite das Gefühl hat, an Wertschätzung und Ansehen zu verlieren – diese Hannah A. wird völlig anders mit Aktien, Anleihen, Käufen umgehen als ein auf Sicherheit bedachter, um sein Ansehen besorgter, sparsamer Mann wie Hannes B., der sorgfältig und lang abwägt; der versucht, jedes Risiko auszuschalten; dem es wichtig ist bei Freunden, Bekannten, Kollegen gut dazustehen und Lob zu erhalten, ein Mensch, der auf unnötige Aufregungen gut verzichten kann – dieser Hannes B. muss völlig anders beraten werden in finanziellen Angelegenheiten als eine Hannah A. und er wird auch ganz anders handeln wollen.

Von daher: Ich muss zunächst wissen, wer ich selbst bin, um das tun und leben zu können, was mir gut tut.

Als Berater/-in sollte ich über mein eigenes Motiv-Profil gut Bescheid wissen und zudem einschätzen lernen, wer denn meine Klienten sind: inwiefern diese ähnlich oder anders „ticken“, welche stark ausgeprägten Lebensmotive diese haben. Das, was für mich selbst in finanziellen Angelegenheiten gut ist, ist es noch lange nicht für einen anderen. Eine professionelle finanzielle Beratung nimmt Rücksicht auf das Profil des Kunden.

Auch beim Marketing und bei allen PR-Aktionen sollte geklärt werden: Wen sprechen wir an? Die Wagemutigen oder die Sicherheitsbedürftigen? Die Entscheidungsfreudigen oder die Bedachtsamen? Die Statushohen oder die Bescheidenen? Und verkörpern wir (die Bank, die Anlage-berater..) selbst das, was wir per Werbung an unseren potentiellen Kunden kommunizieren? Verkaufen wir uns als stark wettbewerbs-orientiert, sind aber von der Belegschaft bis hin zum Vorstand eher friedlich-genügsam? Eine hohe Wirksamkeit ist nur dann möglich, wenn die Werte und die Lebensmotive des Unternehmens mit ihrer Außendarstellung übereinstimmen.

Wer die 16 Lebensmotive kennt und berücksichtigt, ist in der Liebe und im Leben wesentlich erfolgreicher und glücklicher zugange. Die wenigsten Ehen scheitern an zu wenig Liebe, sondern daran, dass nach der rosaroten Phase die starken Lebensmotive des Einzelnen sich durchsetzen wollen. Und das gilt auch im Business: Nach dem „Liebeswerben“ (um eine neue Firma, um neue Mitarbeiter, um neue Kunden) kommen später die starken Lebensmotive der handelnden Personen garantiert zum Vorschein und die wollen ausgelebt werden. Starke Lebensmotive sind automatische Impulse und auf Dauer nicht zu unterdrücken.

In der Kommunikation mit anderen scheitern viele, weil sie von sich auf den anderen schließen. Das Lebensmotiv-Profil ist die Grundlage für unsere Weltanschauung, für unseren „gesunden Menschenverstand“, für das, was wir für gut oder falsch halten. Zwei Menschen können ein und dieselbe Situation völlig anders beschreiben – und jeder ist dabei überzeugt, seine Darstellung sei die einzig wahre. Das ist aber ein Irrtum. Es gibt viele Wahrheiten. Und es gibt viele Wege. So sind auch schnelle Entscheidungen nicht für jeden möglich und nicht für jeden gut. Was auf dem Fußballplatz angebracht ist, gilt nicht zwingend für das Bankgeschäft. Wir alle sollten unser eigenes Reiss-Profil – die 16 Lebensmotive kennen, um uns selbst und den anderen akzeptieren zu lernen.

Wir alle, egal in welcher Branche, müssen lernen genau hinzuschauen, wer denn der andere ist, mit dem wir es zu tun haben, um ihm oder ihr wirklich gerecht werden zu können. Das gilt selbstverständlich auch für alle finanziellen Entscheidungen.

 

 

Die Autorin Silke Samel, Jahrgang 1960, war 25 Jahre lang für verschiedene ARD-Anstalten als Sportmoderatorin, – Reporterin und – Redakteurin tätig. Sie betreute Sendestrecken bei den Olympische Spielen seit Seoul 1988 bis Turin 2006, der Tour de France, sie war Chefin vom Dienst bei der Übertragung zahlreicher internationaler Fußballspiele und Live-Kommentatorin Tanzen für die ARD. 2009 hat sie sich als Beraterin selbständig gemacht und coacht Teams, Betriebsräte, Selbständige und Führungskräfte bis Vorstandsebene. Daneben moderiert sie Wirtschafts-  und  wissenschaftliche Kongresse für Universitäten und Ministerien.

 

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